Wolfgang Rössig

Ägypten

Unter dem Sonnengott

„Ich will nun ausführlich von Ägypten erzählen, weil es mehr wunderbare Dinge und erstaunliche Werke enthält als alle anderen Länder.“ Diese Zeilen stammen von Herodot, dem griechischen Geschichtsschreiber, der vor 2500 Jahren Ägypten besuchte. Zu dieser Zeit waren die Pyramiden von Gizeh bereits 1500 Jahre alt, und griechische Studienreisende ritzten ihre Graffiti in den Stein der Monumente. Nicht minder begeisterte Ägyptentouristen waren die Römer. Ihre Kaiser ließen so manches „Souvenir“ mitgehen, vor allem Statuen und Obelisken.

„Soldaten, 40 Jahrhunderte blicken auf euch herab!“, feuerte Napoleon 1798 sein Expeditionsheer an. Anstatt Ägypten zu erobern, kletterten seine Soldaten aber lieber auf der Cheops-Pyramide und dem Sphinx herum. Dabei sollte das rätselhafte Fabelwesen mit Löwenkörper und Kobrakopf Störenfriede eigentlich vertreiben. Immerhin gruben die Franzosen auch den berühmten Stein von Rosette aus dem Schlamm des Nildeltas: Seine mehrsprachige Inschrift ermöglichte die Entzifferung der bis dahin mysteriösen Hieroglyphen.

Sphinx
Sphinx

Keiner hat die Begeisterung für die altägyptische Kultur mehr gefördert als Howard Carter, der im November 1922 auf das Grab des Tutanchamon stieß. Die „wunderbaren Dinge“, die Carter bei der Graböffnung im Beisein seines Mäzens Lord Carnavon erblickte, sind heute im Ägyptischen Nationalmuseum zu bewundern. Wahrscheinlich wurde nie Schöneres aus Gold geschaffen. Mit ausgebreiteten Armen beschirmte die Göttin Selket den reich verzierten Schrein mit den Eingeweiden des jungen, historisch eher unbedeutenden Königs. So prunkvoll sind seine Grabbeigaben, so vollendet ist seine Totenmaske aus purem Gold, dass die Phantasie nicht ausreicht, um sich vorzustellen, welch „wunderbaren Dinge“ erst die größten Pharaonen Ägyptens auf ihrer Reise ins Jenseits begleitet haben mögen.

Was man benennen kann, das kann man wissen, was man aber nicht benennen kann, das muss man leben und glauben.

Ägyptisches Totenbuch

Djoser auf der Himmelsleiter

Um 2600 v.Chr. schritt Djoser über die himmlische Leiter hinauf zu den Sternen. Seine Stufenpyramide bei Sakkara, das Werk von Imhotep, war das erste Grabmal in Ägypten, das vollständig aus Stein errichtet wurde. Schon bald wandelten sich die Pyramiden zu steingewordenen Sonnenstrahlen, die Pharaonen wie Cheops, Chephren und Mykerinos in den Himmel geleiteten. Aber trotz raffiniertester Baumaßnahmen wurde die Jenseitsreise fast aller mumifizierten Herrscher schon in pharaonischer Zeit von Grabräubern gestört.

Ob die Pyramiden von Gizeh, das einzige erhaltene der Sieben Weltwunder, auf „immer und ewig“ überdauern werden, wie es ein altägyptischer Text erhofft? Seit bald 4600 Jahren stehen sie nun schon in der Wüste, einsam und majestätisch, doch die Moderne fordert ihren Tribut. Immer näher rücken die Neubauviertel der 15-Millionen-Stadt Kairo heran: Luftverschmutzung und Feuchtigkeit lassen den ehrwürdigen Stein immer schneller bröseln.

Tempel der Hatschepsut
Tempel der Hatschepsut

„Die ägyptischen Tempel langweilen mich fürchterlich“, befand der französische Romancier Gustave Flaubert am Ende seiner Ägyptenreise. Ein „Ruinen-Overkill“, dem man vorbeugen kann. Für Entspannung sorgen die herrlichen Morgen- und Abendstimmungen auf dem Nil, gemächlich vorüberziehende Palmenufer und archaischen Feluken, deren Segel sich im Wind blähen, und was die Tempel betrifft, so muss man sich eben beschränken. Manchmal leider nicht ganz freiwillig. Islamische Fanatiker haben dafür gesorgt, dass der Besuch des Osiris-Tempel von Abydos und das Heiligtum der kuhköpfigen Liebesgöttin Hathor bei Dendera nördlich von Luxor mit Risiken verbunden ist.

Luxor und Karnak

Vom „Pflichtprogramm“ in Luxor lässt sich jedoch kein Ägyptenreisender abhalten. Zwei Jahrtausende hat man an den kolossalen Tempelanlagen gebaut, doch kein Pharao hat die Gigantomanie weiter getrieben als Ramses II. Am Eingang des Tempels von Luxor demonstriert er seine grenzenlose Macht mit drei (von einst sechs) Mammutstatuen seiner selbst, mit zwei Obelisken (einer steht heute auf der Pariser Place de la Concorde) und zwei riesigen Pylonen. Die darin eingemeißelten Reliefs feiern das Schlachtenglück des Pharao, der dabei ein wenig Geschichtsklitterung betrieb.

Karnak
Karnak

Noch gigantischer ist die Halle des Amun-Re-Tempels von Karnak, in die ein von widderköpfigen Sphingen gesäumter Prozessionsweg führt: ein Wald aus 134 hieroglyphengeschmückten Pflanzenpfeilern, den Ramses II. und Seti I., sein Vater, geschaffen haben.

Auf der Mondbarke in die Ewigkeit

Das Ostufer des Nils gehörte den lebenden Pharaonen, das Westufer den toten. Über drei Terrassen steigt der vor einer dramatischen Felskulisse am Nilufer angelegte Totentempel von Hatshepsut an. Sie war, abgesehen von Kleopatra, der einzige weibliche Pharao Ägyptens. Doch nicht sie, eine andere ist zum Inbegriff weiblicher Schönheit geworden: Königin Nefertiti (oder Nofretete). Sie war die Gemahlin Echnatons, der die Verehrung des Reichsgottes Amun durch den Kult des Sonnengottes Aton ersetzte. Nefertitis weltberühmte Büste wurde in den recht spärlichen Ruinen von Tell el Amarna gefunden.

Ich erwache im Dunkeln, weil die Vögel sich regen, ein Murmeln in den Bäumen, das Flattern der Flügel. Es ist der Morgen meiner Geburt, der erste von vielen. Löwen brüllen über Tempel, und die Erde bebt. Aber es ist nur das Morgen, das Wache hält über das Heute.

Ägyptisches Totenbuch

Schon Echnatons Nachfolger, der jung verstorbene Tutanchamon, kehrte zum alten Götterglauben zurück. In seinem berühmten Grab im Tal der Könige sind heute nur noch einige Wandmalereien zu sehen. Sehenswerter sind die hervorragend erhaltenen Götterreliefs im hundert Meter langen Grab von Seti I. Die ebenfalls mit leuchtenden Reliefs ausgeschmückte letzte Ruhestätte für Ramses VI. überwölbt ein herrlicher Tag- und Nachthimmel, als Göttinnen dargestellt. In all diesen Gräbern tritt der tote Pharao, eins geworden mit dem Sonnengott, seine nächtliche Fahrt auf der Mondbarke durch die Unterwelt an, begleitet von Feinden und Gefahren, die ihm auf dieser Reise drohen. Inschriften aus dem Totenbuch liefern Anleitungen, den rechten Kurs zu steuern. Nach dieser nächtlichen Reise sorgt der nackte Körper der Himmelsgöttin Nut jeden Morgen für die Wiedergeburt der Sonne.

Im Tal der Königinnen

Das schönste aller Gräber liegt jedoch im Tal der Königinnen. Wer das Glück hat, in das Grab Nefertaris eingelassen zu werden, der „Vollkommenen Gefährtin“ von Ramses II., darf Malereien bewundern, die so frisch leuchten, als hätte man sie erst gestern geschaffen. Das Alltagsleben im Ägypten der Pharaonen führen jedoch vor allem die ausgemalten Gräber der Würdenträger plastisch vor Augen.

Grab von Nefertari
Grab von Nefertari

Bei Assuan ist der Isis geweihte Philae-Tempel zu besichtigen. Er musste beim Bau des Hochdamms von Assuan ebenso umgesetzt werden wie weiter flussaufwärts der berühmte Tempel von Abu Simbel, König Ramses' II. monumentales Tor nach Ägypten. Um ein Haar nur ist er den Fluten des Nasser-Sees entgangen: Block um Block hat man ihn, ebenso wie das kleinere Heiligtum seiner Lieblingsfrau Nefertari, an einen höher gelegenen Standort verbracht. Vier Kolossalfiguren des großen Pharao verkündeten den immer wieder aus dem Süden einfallenden Nubiern: Seid gewarnt, hier beginnt Ägypten, das Reich von Ramses. Nur um den 20. Februar und den 20. Oktober leuchten die Figuren im Licht der ersten Sonnenstrahlen, ein Anblick raffiniert kalkulierter Magie.

Ägypten ist aber nicht nur die Schatzkammer der Pharaonen, hier sind auch zahlreiche kunstvolle Moscheen und kühne Felsenklöster der koptischen Christen zu besichtigen. Und so einschüchternd der Moloch Kairo auch sein mag, ohne einen Besuch von Khan al-Khalili, den vielleicht schönsten Basar der Welt, dürfen auch fanatische „Trümmertouristen“ nicht nach Hause fahren.

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11 Abassya Sakara, Cairo

Mail: info@egypt.travel
Web: www.egypt.travel

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