Wolfgang Rössig
„Wenn ich verloren gehe, sucht mich in Kuba“, so schwärmte der spanische Dichter Federico García Lorca (1898-1936). Heute würde die kubanische Regierung den Touristen allzu gerne vorschreiben, wo auf Kuba sie das Paradies zu buchen haben: an den Hotelstränden von Varadero oder auf den einsamen Cayos, die mit ihren weißen Sandstränden und dem azurblauen Meer tatsächlich gängigen Karibikklischees entsprechen, und die man nur mit anderen Touristen und handverlesenem Resortpersonal teilt. Überall sonst in der Karibik funktioniert dieses Marketing, nur bei den wahren Kuba-Enthusiasten nicht. Sie suchen etwas Aufregenderes als einen geeisten Cocktail am Traumstrand. Sie wollen das „wirkliche“ Kuba, wie schon Hemingway und García Lorca.
Man findet es in Havanna. Die Abendsonne taucht die verblichenen Fassaden der Kolonialbauten in fast mystische Pastellfarben, die Morro-Festung erglüht in Tieforange, ein sanfter Passatwind streicht über den Malecón und vertreibt die drückende tropische Schwüle. Auf der noch sonnenwarmen, von Salzwasser zerfressenen Mauer von Havannas Uferpromenade sitzen Liebespaare, einsame Träumer und fröhliche Gruppen junger Leute, die Bierflaschen kreisen lassen und einen missbilligend dreinschauenden Polizisten erfolgreich ignorieren. Noch immer schlägt auf dem Malecón das Herz von Havanna, mag der Blick auch oft hinauswandern aufs Meer. Dort drüben liegt La Yuma, Amerika: nur 90 Meilen entfernt, und doch für die meisten unerreichbar. Doch WLAN, das gibt es inzwischen am Malecón, und nun sind auch in Kuba Leute, die angestrengt auf ein Smartphone starren, kein ungewöhnlicher Anblick mehr.
An der Ecke zum Paseo de Martí stehen viel zu junge Anhalterinnen in viel zu kurzen Röckchen, auf den Marmorbänken von Havannas Prachtboulevard mit seinen noch immer bröckelnden Kolonialbauten sitzen alte Männer in verschlissenen Guayabera-Hemden und sehen den Schulkindern zu, die in ihren rot-weißen Uniformen mit selbst gebastelten Schlägern Baseball spielen. Weiter oben, am Parque Central, diskutiert an der „Esquina Caliente“, der heißen Ecke, ein Männerpulk wild gestikulierend über ... nein, nicht Politik, sondern über Kubas Nationalsport Baseball. Ein „jinetero“ (Schlepper) zischelt Touristen das unvermeidliche „¿tabacos, casa, chica?“ hinterher, und vor dem Capitolio warten die „Americanos“. 60 Jahre haben viele der alten Amischlitten schon auf dem Buckel, Chevies, Buicks und Oldsmobiles, blank gewienert, doch unter der Motorhaube oft nur mit Klebeband und Nylonstrümpfen als Keilriemenersatz am Laufen gehalten. Es sind Monumente kubanischer Improvisationskunst. Aber die kurze Fahrt hinüber auf die andere Seite des Hafens, zur Morro-Festung, die schaffen diese halblegalen Privattaxis noch. Meistens...
Wer auf den Mauern des trutzigen Bollwerks steht, dem liegt ganz Havanna zu Füßen. Die Zeit hat gerade noch gereicht, das Häusermeer der Stadt im letzten Abendlicht zu bewundern. Die Kuppel des Capitolio beherrscht die Silhouette. Viele Habaneros, das Visum für die USA schon in der Tasche, nehmen hier Abschied von ihrer Stadt und ihrem bisherigen Leben: Früher war das oft für immer.
Wie ein schwarzseidenes Tuch legt sich die tropische Nacht auf Havanna. Aus einem Hausflur dringt improvisierte Trommelmusik, am Malecón marschieren die Schönen der Nacht auf, und von der Cabaña-Festung schallt der „cañonazo“ herüber, der allabendliche Kanonenschuss. Noch ist es zu früh zum Tanzen: Vor Mitternacht sind die Musiklokale meist gähnend leer. Zunächst trinkt man einen starken Cafecito, ein erstes Glas Rum, einen überteuerten Daiquiri in Hemingways Stammbar „El Floridita“, genießt den sinnlichen Duft des Abends, steigt später eine mit bunten Mosaiken verzierte Marmortreppe hinauf zu einem Paladar, einem der vielen Privatrestaurants von Havanna. Mit etwas Glück wird Schweinefleisch mit „moros y cristianos“, Reis und schwarzen Bohnen, in einem von Kristalllüstern erhellten Salon oder auf einem Kolonialbalkon mit baumelnden Lampions al fresco serviert. „La Guarida“, Drehort des Kinofilms „Erdbeer und Schokolade“, oder „La Cocina de Liliam“ tischen sogar richtig exquisite Küche auf.
Aus vielen Fenstern flackert das bläuliche Licht alter Röhrenfernseher. Früher sprach der Comandante, oft stundenlang, zu seinem Volk. Heute gaukelt die abendliche Telenovela den Kubanern heile Welten aus Mexiko City oder Caracas vor, mit modernen Wohnungen, flauschigen Veloursteppichen, weißen Ledersofas und schönen Menschen mit Luxusproblemen. Eine Stunde lang lässt sich so vergessen, dass das Nachbarhaus nur noch ein Schutthaufen ist, in der eigenen Wohnung der Putz von den Wänden blättert und über dem zerschlissenen Plastiksessel nur eine nackte Glühbirne funzeliges Licht spendet — wenn nicht wieder einmal ein „apagón“ das Viertel in tiefe Dunkelheit taucht. Solange die Telenovela läuft, gibt es aber nur selten Stromausfälle: Die Funktionäre wissen, wann man den Saft besser nicht abdreht. Bei improvisierten Satellitenschüsseln wird es schon heikel, und wenn ein Kontrollwagen der Etecsa, der kubanischen Telefongesellschaft, in der Straße parkt, bricht auf den Dachterrassen hektische Aktivität aus, um das runde kleine Fenster zur großen kapitalistischen Welt verschwinden zu lassen, bevor es konfisziert wird.
„No es fácil“ seufzen die Kubaner, und nein, es ist wirklich nicht leicht, das bisschen Leben, das man sich herausnimmt. „Resolver“, sich irgendwie durchlavieren, lautet die Devise — dabei hilft ein Handy, meist von einem westlichen Gönner spendiert, das Statussymbol schlechthin und zum Organisieren diverser Geschäftchen über sieben Ecken unverzichtbar. Und wenn abends doch einmal ein paar „harte“ Pesos ein Loch in die Tasche brennen, ist die Spontanparty schnell organisiert: Juan organisiert die Musik, Pepe den Rum und Manuel die chicas, und bald schallt Reggaetón-Musik mit anzüglichen Texten aus den Fenstern. Wer sympathisch ist und ein paar Bierdosen beisteuert, tanzt bald mit, jedenfalls bis ein missgünstiger Nachbar vom CDR, dem „Komitee zur Verteidigung der Revolution“, dem Treiben ein jähes Ende setzt.
Die Touristen tanzen, wenn sie sich nicht im weltberühmten Tropicana-Cabaret schröpfen lassen, lieber in der Casa de la Música, in der die besten Salsagruppen Kubas auftreten, und der Eintritt, der Rum und die Begleitung mehrere kubanische Monatsgehälter kosten. Gegen zwei Uhr morgens kocht der Saal, unglaublich gelenkige Mulatas wirbeln über die Tanzfläche, und für einen Augenblick interessiert nicht, wie viele „chavitos“ in der Tasche des Touristen knistern, sondern ob er jetzt endlich seinen Hintern hoch bekommt.
Noch vor Tagesanbruch krähen die Hähne von Havanna. So mancher Habanero hält sich Hühner auf dem Privatbalkon, wenn er dort nicht gar ein Ferkel mästet, das dann zu Weihnachten als „lechón asado“ in einem kulinarischen Bacchanal endet. Noch ist es kühl: Der Morgen ist die beste Zeit für eine Besichtigung der Stadt. Die Altstadt, UNESCO-Weltkulturerbe, ist stellenweise schon renoviert, die Plaza Vieja, einst größter Sklavenmarkt der Karibik, adrett in Pastellfarben herausgeputzt. Doch nur einige Schritte weiter, in der nächsten Gasse, zeigt das harte Tageslicht gnadenlos den Verfall von Gebäuden, die fast 60 Jahre weder frischen Putz noch Farbe gesehen haben. Aber die Bildbände von Havanna sind voll von solchen Motiven. Tatsächlich kann schon der nächste Hauseingang überraschende Perspektiven bieten: ein altes Kachelmosaik, eine Heiligenfigur mit Revolutionsbild darüber. Und während man noch neugierig guckt, wird man schon eingeladen und betritt verdutzt einen Salon, der noch von längst vergangenem bürgerlichen Wohlstand kündet. Auch wenn der überdimensionale russische Kühlschrank nur noch Leitungswasser frisch hält.
Havanna ist das Entzücken der Fotografen, aber auch der Architekten und Stadtplaner. Nirgendwo sonst auf der Welt findet man eine Stadt, deren Entwicklung und Erweiterung man von Viertel zu Viertel so unverfälscht nachvollziehen kann. Es war kein Geld da, um Altes durch Neues zu ersetzen, und so hat Habana Vieja sein Erscheinungsbild seit 200 Jahren kaum verändert, und das „moderne“ Vedado bietet sich noch fast genauso wie vor 50 bis 100 Jahren dar, nur etwas morbider. Die herrschaftlichen Bürgerhäuser zeigen schönsten Jugendstil und Art Déco, und wirken, da es fast keine Neubauten gibt, heute noch modern, nur mit ein paar Rissen im Beton. Das prunkvolle Mafiahotel „Nacional“ versucht den Glanz der 1920er ins 21. Jh. hinüberzuretten, was ihm angesichts der vielen kurz behosten Reisegruppen sichtlich schwer fällt. Im Nobelvorort Miramar herrscht das Flair der 1920er und 1930er Jahre, und in den weißen Villen der damaligen Oberschicht residieren heute Botschaften und diskrete Niederlassungen westlicher Firmen: „Bereit sein für die Zukunft“ lautet die Devise, US-Embargo hin oder her.
Ja, Kuba wird sich ändern, ein wenig hat es das schon. Und so wollen viele die Zuckerinsel besuchen, bevor „die Amerikaner kommen“ und den Malecón mit McDonalds-Filialen zupflastern, ja sogar die Amerikaner selbst. Eigentlich glaubte man, mit dem Besuch von Barack Obama habe die neue Zeit schon begonnen. Doch Donald Trump dreht gerade die Uhr wieder zurück. Die Hürden für einen Kubabesuch werden für US-Bürger wieder höher. Amerikanische Fluglinien reduzieren ihre Flüge nach Kuba bereits wieder oder stellen sie ganz ein. Schon kurz nach dem Mauerfall hatte Willy Chirino in Miami sein vermeintlich prophetisches „Ya viene llegando nuestro dia“ („Bald ist er da, unser Tag“) gesungen. Doch der Tag ist wohl noch nicht gekommen, und das Lied auf Kuba noch immer verboten.
Praktische Infos
Tourist Information
Kubanisches Fremdenverkehrsbüro
c/o Kubanische Botschaft, Stavanger Str.
D-10439 Berlin
☎ 030 44719658
Web: www.cubainfo.de, www.cubatravel.cu
Einreisebestimmungen
Ein- und Ausreise
Benötigt werden ein noch mindestens sechs Monate gültiger Reisepass sowie eine Touristenkarte, die die diplomatischen Vertretungen Kubas, Airlines oder das Reisebüro für etwa 25 Euroverkaufen. Individualreisende können inzwischen ohne Probleme die Adresse ihrer legalen casa particular in die Karte eintragen. Geschäftsleute und Journalisten müssen ein Arbeitsvisum beantragen.
Bei der Rückreise darf niemand einchecken, ohne die Ausreisesteuer in Höhe von 25 CUC bezahlt zu haben. Bei Pauschalreisen ist sie aber meist schon inbegriffen. Sie können in Kuba Ihren Aufenthalt bei den Büros der Migrationsbehörde um einmal einen Monat verlängern lassen (25 CUC).
Anreise
Mit dem Flugzeug
Mehrere Linien- und Charterfluggesellschaften bedienen von Deutschland, Österreich und der Schweiz aus Kubas internationale Flughäfen. Condor (Thomas Cook) fliegt ganzjährig von deutschen Flughäfen direkt nach Havanna, Varadero, Holguín und Santa Clara (Cayo Santa Maria). Air France und Iberia bieten häufige Linienflüge über Paris bzw. Madrid nach Havanna an. Die Flugzeit von Mitteleuropa nach Kuba beträgt 10-12 Stunden. Je nach Reisezeit zahlt man zwischen 750 und 1200 Euro.
Unterkunft
Nacional de Cuba
Calle O esq. a 21
Vedado, Havanna
☎ +537 8363564
Web: www.hotelnacionaldecuba.com
Renovierter Luxuspalast der 1930er-Jahre, Blick auf Meer und Malecón. Herrlicher Garten. Das Cabaret Parisien ist mit seiner Show eine gute Alternative zum überteuerten Tropicana.
Saratoga
Prado 603 y Dragones
Centro Habana
☎ +537 8681000
Web: www.hotel-saratoga.com
Neoklassizistisches Traditionshotel von 1928, 2005 als 5-Sterne-Luxus-Oase wiedereröffnet. Spitzenrestaurant Anacaona mit maurischem Dekor. Von der Dachterrasse mit riesigem Pool toller Blick auf das Capitolio und die Bucht von Havanna. Zimmer und Foyer mit WLAN-Internetzugang.
Beltrán de la Cruz
San Ignacio 411 e/ Muralla y Sol
Habana Vieja
☎ +537 8608330
Sehr charmantes kleines Kolonialhotel in der Nähe der Plaza Vieja. Wunderschön sind die Zimmer 3, 7 und 8.
Raquel
Amargura 103 esq. Ignacio
Habana Vieja
Jugendstilhotel nahe der Plaza Vieja; 25 geschmackvoll eingerichtete Zimmer mit Dekor zu biblischen Themen, Restaurant mit jüdischer Küche, wunderschöne Art-déco-Bar und tolle Dachterrasse.
Telégrafo
Paseo de Martí 408 esq. a Neptuno
Centro
Historisches Hotel von 1888 mit sehr modern ausgestatteten Zimmern und erstklassigem Service. Die Bar ist ein sozialer Treffpunkt Havannas.
Florida
Obispo 252 esq. a Cuba
Habana Vieja
Kolonialhotel mit 25 geschmackvollen Zimmern rund um einen Säulen-Patio. Restaurant und Bar sind vorzüglich.
Terral
Malecón, esq. Lealtad
Centro Habana
2013 direkt am Malecón eröffnetes kleines Hotel mit puristischem modernen Design in Blautönen. Alle 14 Zimmer mit Meerblick.
Tejadillo
Tejadillo 12, esq. San Ignacio
Habana Vieja
Kolonialer Charme mit idyllischem Patio und 32 Zimmern ganz in der Nähe der Kathedrale, aber trotzdem ruhig.
Restaurants
Café del Oriente
Oficios 112, esq. a Amargura
Habana Vieja
Nobelrestaurant in der Altstadt mit Jugendstildekor, feiner europäischer Küche und exzellentem Service. Im Erdgeschoss gibt es eine edle Piano-Bar.
304 O'Reilly
Calle O'Reilly No 304 e/Habana y Aguiar
Habana Vieja
Café-Restaurant mit schickem Dekor, kreativer Küche und freundlichem Service.
Nao
Obispo 1 e/San Pedro y Baratillo
Habana Vieja
In diesen besonders zentral gelegenen, von außen unscheinbaren Paladar holt man sich Inspirationen aus kubanischen Kochbüchern der 1950er Jahre.
La Guarida
Centro
☎ +537 8669047
Web: www.laguarida.com
Hier speiste 1999 die spanische Königin kubanische Kreationen der »nueva cocina cubana«. Unbedingt reservieren! Concordia 418 e/ Gervasio y Escobar
San Cristóbal
San Rafael 469
Centro Habana
Einer der besten und romantischsten Paladares von Havanna, sehr kreative Gerichte. Im März 2016 speiste hier Präsident Barack Obama.
Le Chansonnier
Calle J No 257 e/Calle 15 y Linea
Vedado
Hinter dem schwer zu findenden Eingang einer eleganten Villa verbirgt sich ein edler Paladar mit französisch inspirierter Küche. Sogar französische Weine gibt es hier. Die Preise sind allerdings gesalzen.
Cocina de Lilliam
Calle 48 e/ 13 y 15
Miramar, La Habana
Besonders romantisches Privatrestaurant mit kolonialem Ambiente und kreativen Gerichten, darunter eine fein abgeschmeckte ropa vieja. Ex-Präsident Jimmy Carter speiste hier 2002
La Esperanza
Calle 16 No. 105, e/ 1ra y 3ra
Miramar, La Habana
Wunderschöner Paladar in Jugendstilhaus. Die Küche wird hier kreativ mit französischen Akzenten verfeinert. Unbedingt reservieren. Di geschl.
La Fontana
Avenida 3ra A No 305, esq. 46
Miramar, La Habana
In einem üppig grünen Patio mit plätscherndem Brunnen und Bächlein serviert dieser versteckte Paladar richtig gute kubanische und mediterrane Küche, z.B. Kaninchen. Die Lounge-Bar ist bis 6 Uhr früh geöffnet.
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